Katalogtext von Hedwig Saxenhuber, in: noch viermal heuten dann ist übermorgen |
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Hedwig Saxenhuber Schon der Titel "noch viermal heuten dann ist übermorgen" verschließt sich jeder Eindeutigkeit. Er erinnert daran, wie wir Kindern den Zeitbegriff näherbringen. Im Verlauf des Erwachsenwerdens verschiebt sich durch die soziale Umwelt und die Konditionierung ein Bild der Erwartung in sich selbst. Man muß sich gegenüber den Bestimmungen auf irgendeine versprochene Hoffnung beziehen, verborgen in dem Bild, das man von sich selber und den anderen hat, von dem man nicht mehr naiv sagen kann, es wird sich einmal erfüllen. Dieses Bild des Selbst ist vielmehr überlagert von jenen Bildern, die das Außen auf das eigene Selbst projiziert, so daß das Ich immer mehr zur Collage wird. Die Hoffnung bleibt sozusagen an der Oberfläche, an der Haut des Heute hängen. Um dieses Verschwinden aus den Häuten des Heute, um dieses Distanzieren von der eigenen Haut, die voll von Projektionen ist, geht es auch in der Arbeit von Doris M. Würgert. Blick um Blick Ein geschlossener quadratischer Raum mit in regelmäßigen Abständen befindlichen lebensgroßen Figuren, die frontal zu den Besuchern sind. Es ist eine dichte Inszenierung, der Blick ruht im entgegengebrachten Blick, daneben, dahinter. Es ist kaum Platz abzuschweifen, die Augen auszuruhen. Sie finden sich in einem Vis-à-vis wieder oder sind ständig auf der Suche nach einer Erwiderung. Doch unter all den Bildern ist niemals ein Bild, das einem Blick entspricht. Alles, was zu sehen ist, ist ein Konstrukt. Ein Konstrukt, das vom Sehen handelt, das eine Konstruktion der Sicht betreibt. Kein Bild wird da vom Abbild wiederhergestellt. Das Abgebildete scheint zwar leicht erkennbar, doch das Konkrete verliert sich, denn es wird von der Abstraktion her verbürgt. Dennoch wird dem Blick der BetrachterInnen vermeintlich seine Authentizität zugesprochen: daß das, was er sieht, das Erkannte ist, daß die Figur der Inhalt des Bildes ist. Doch schon von den Rändern her – und nicht nur denen der einzelnen Bilder – beginnt beim Betrachter die Sicherheit allmählich zu schwinden. lndem der Besucher in das Spiel zwischen Abstraktion und Emotion eingeschlossen ist, ist er selber im Bild und nicht mehr dessen Gegenüber von außen. Er ist ein unter den Blicken Erblickter. Indem sich die Anordnung der Bilder um ihn auf diese Weise entwickelt, steht seine zentrale Stellung als Betrachter in Frage. Das Bild ist nicht mehr die Beute seines Blicks, sondern etwas eigenes, aus dessen Verfügung entlassenes, das aber trotzdem vom Zuschauer in Form einer eigenartigen Präsenz als die Darstellung einer Person erlebt wird. Das Wissen des "ich erkenne" wird durch dieses "aber trotzdem" verwandelt, weil die Bilder, die D.M. Würgert hier ausstellt, aus zwei im Konflikt stehenden, jedoch miteinander verknüpften Schichten bestehen: dem Realitätsanspruch der Fotografie das wahre Abbild zu zeigen, und ihrer Materialität, ihrer Konstruiertheit. Vielleicht ist es auch deswegen kein Zufall, daß D.M. Würgert ihre Modelle aus ihrem Lebensumfeld nimmt. Schon in der Reduktion von deren Gesten auf eine "typische" Haltung für die fotografische Vorlage, macht die Künstlerin selbst einen Distanzierungsschritt. Das Private des »Kennens« wird reduziert auf das Typische des »Erkennens«. Das Abbild wird nicht von irgendeiner Peripherie aus Objekten oder Gesten her bestätigt, sondern sozusagen abstrakt errichtet. Die Körperhaltung ihrer FreundInnen wird zum Zeichenobjekt von deren Körpern. An diesem Allgemeinen der »Haltung« arbeitet die Künstlerin dann nach, nähert sich konkret durch die Bearbeitung eines technisch hergestellten Bildes den Dargestellten wieder, entscheidet, was sie zeigt und gibt dem Betrachter dadurch wieder die Illusion von der Authentizität ihres Erkennens. Und das macht diese Arbeit gerade jetzt so aktuell. Denn die Sehnsucht nach Authentizität ist dann offenbar am größten, wenn, wie heute, kollektive Unsicherheiten die Lebensbedingungen diktieren. Und mit ihrem Spiel mit Authentizität trifft D.M. Würgert ins Schwarze. Einmal, weil sie die Regeln dafür widerstandslos zu erfüllen scheint. Sie schafft ein makelloses Abbild in handwerklich perfekter Ausführung, verwendet malerische Effekte und erbringt somit scheinbar den Echtheitsbeweis für das Bild. Und genau in dieser eindeutigen Zurschaustellung liegt die Ambivalenz ihres Vorgehens. Ambivalent deswegen, da D.M. Würgert das Foto mittels Computertechnologie bearbeitet. Das Ergebnis dieser elektronischen Manipulation ist eine nahtlose, schnelle Abänderung der Fotografie und der Repräsentation von Wirklichkeit. Und tatsächlich mag diese neue (Ver)Formbarkeit des Bildes zu einer profunden Unterminierung des fotografischen Status als der wahren Bildform führen. Durch die Eliminierung der fotografischen Spuren und die Bearbeitung mit Pinsel, Farbe und Wachs führt sie die BetrachterInnen auf die falsche Fährte. Sie suggeriert damit auch die alten Rollenbilder der KünstlerIn in der Gesellschaft: Garant zu sein für Meister- und Könnerschaft, Perfektion und Subjektivität. Ihre Arbeit sagt dem Betrachter aber genau das Gegenteil: Ästhetische Arbeit heute ist eine der Kritik, der Widerlegung dieser Kategorien. Ihr geht es um die Verunsicherung aller medial suggerierten Geschichten von der Wahrheit des Sehens der Bilder. |
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