Katalogtext von Georg Schöllhammer in: Bilder, Nr. 169, Fotogalerie Wien, 2001
       
  Georg Schöllhammer

Vom Atem der Dinge

Zwei Vasen auf einem Bord. Ein Sessel, an einer Wand. Oder ein Bett vor einer. Ein Schreibtisch. Objekte, alleingelassen in einem ganz abstrakten, fast ortlosen Raum. Doris Maximiliane Würgert erzählt in ihren Fotobildern vom stillen Leben der Formen. Ihre Fotografie verallgemeinert räumliche Zustände. Sie läßt dabei alle gesellschaftlichen Kodierungen außen vor und zieht sich auf eine fast lapidare Darstellung von Objekten zurück. Alles, was diesem Projekt nicht dient, ist aus ihm verdrängt. Es ist ein Interesse an den Grenzzuständen von Fotografie und Malerei, das sich mit einem an der kulturellen Transformation von Motiven des Modernismus der 60er und 70er Jahre verbindet, das in dieser Arbeit einen Punkt gefunden hat, von dem aus der Affirmation dieses Modernismus als Ambient-Folie gegenwärtiger kühler Lebensstilkonstruktionen gegengesteuert wird. Was D. M. Würgerts Fotografie dagegen vorlegt, ist ein Analysemodell der Raumvorstellungen dieses Modernismus.

Sie scheinen fast zu atmen, die Objekte, auf die sich der Blick der Fotografie konzentriert, als wären sie Portraits. Die Kontextreduzierung der Raumfiguren, welche Würgerts Objektportraits umgeben, machen die körperliche und psychische Konditioniertheit der Subjekte in den öffentlichen Räumen und in der Arbeitswelt korporativer Büros jener Zeit nahezu körperlich spürbar. Die Standardisierungsgedanken modernistischer Designutopien entgegnet Würgert gleichsam mit der Aura der Dinge, die aus ihr entstanden. Das kehrt das herrschende kulturpessimistische Bild der Vereinzelung der Subjekte in der Massengesellschaft jener Jahre positiv um. Wie das Bild einer kleinen Revolte gegen die tödliche Passivität dieser Gesellschaft wirken diese Portraits. Würgerts ins Bild setzen dieser Leere verliert sich aber nicht in einem hedonistischen Spiel mit historischen Differenzen. In ihrer Negation des Sozialen und des Ökonomischen und ihrer Behauptung von Form und Abstraktion wird der nostalgische Blick auf diese Formenwelt kritisiert. Der "Standort" der BetrachterInnen wird zum bestimmten Gesichtspunkt, von dem aus einzelne Horizonte, Perspektiven und Tiefendimensionen dieser historischen Verortung sich entfalten können. In einem Wechselspiel von Zentrierung und Dezentrierung, von Homogenisierung und Dehomogenisierung des Raumes mag dann vielleicht auch sichtbar werden, welche Illusion des sozialen, ökonomischen oder auch künstlerischen Lebensraumes das Projekt Modernismus verfolgte: als symbolisches Mittel und politisches Werkzeug. So baut Doris Maximiliane Würgerts Arbeit eine fragile Brücke zwischen Beobachtung und Beobachtetem, oszilliert zwischen objektiven und subjektiven Motiven sowie der körperlichen Beschreibung des Realen.

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