Katalogtext von Franz Billmayer, in: animus versus ratio

Text von Gerhard Blechinger
       
  Franz Billmayer

Zum VerhŠltnis von GefŸhl & Vernunft einige Gedanken

Tatsache ist, da§ wir unterscheiden zwischen GefŸhl und Vernunft und da§ diese Unterscheidung die Institution Vernunft trifft. Die Unterscheidung erscheint mir gefŸhlsmŠ§ig sinnvoll.

Etymologisch grŸndet GefŸhl in FŸhlen, Vernunft in Vernehmen, Nah- und Fernsinn. Auffallend ist dabei die etymologische NŠhe von GefŸhl zu Begriff. GefŸhl ist privat, Vernunft šffentlich. Die Vernunft ist ein Werkzeug der Distanz und Objektivierung, sie erhebt den Anspruch intersubjektiver GŸltigkeit. Ihre Methode ist die Kritik und der Dialog. Vernunft ist die Methode der Herrschaft durch Teilung. Descartes empfiehlt schwer lšsbare Probleme solange zu teilen, bis sie einfach und beherrschbar werden. So wird die Natur erst zerteilt, um dann wieder zu einer kalkulierbaren, aus kleinsten Elementen zŠhlbaren Welt zusammengesetzt zu werden. Die Verhei§ung Descartes, der richtige Gebrauch der Vernunft lasse die Kenntnisse soweit fortschreiten, da§ wir zu Herren und EigentŸmern der Natur werden, hat sich in der modernen Technik erfŸllt. Die Natur verliert in der Erkenntnis ihrer Gesetzlichkeiten ihre UnwŠgbarkeiten und Schrecken, sie wird - jedenfalls in gewissen Grenzen - handhabbar. Wissen fŸhrt zu Macht.

GefŸhl ist unkritisch, d.h. auf das Ganze, die Einheit ausgerichtet. Es braucht sich keine Rechenschaft abzulegen. GefŸhl ist schnell und spontan. Es ist plštzlich da. Eine BegrŸndung ist letztlich nicht mšglich, auch wenn dies von der Vernunft immer wieder versucht wird. Sind Systeme und die darin zu treffenden Entscheidungen genŸgend komplex - etwa im Aktienmarkt - so stŸtzt man sich auf das GefŸhl.

Spiegel 10/1992 S.229: "E. V. R.... war erfolgreicher WirtschaftsprŸfer, bis eine Krebsoperation sein Leben zerstšrte: Die Chirurgen hatten einen Tumor in der NŠhe seiner Augenhšhle entfernt und dabei auch Teile des Stirnhirns herausschneiden mŸssen. Noch immer ist E. V. R. ungewšhnlich intelligent. Weder seine Erinnerung noch seine Wahrnehmung war im geringsten beeintrŠchtigt, und dennoch bezweifeln seine Freunde, da§ sie Ÿberhaupt noch den selben Menschen vor sich haben. Plštzlich war E. V. R. unzuverlŠssig und unberechenbar. Seinen Beruf mu§te er aufgeben, zwei Ehen gingen nacheinander in die BrŸche, und sein Vermšgen hatte er in kŸrzester Zeit verspekuliert. 'Er kann sich nicht mehr entscheiden', erzŠhlt Damasio. 'Und wenn er es tut, kommt meist etwas Selbstzerstšrerisches dabei heraus.' Auch dafŸr hat Damasio eine ErklŠrung: 'Die Chirurgen haben die Konvergenzzonen zerstšrt, in denen E. V. R. seine Wahrnehmungen mit seinen GefŸhlen koppelte.' Jetzt habe er den Kontakt zu dem Me§instrument verloren, mit dessen Hilfe der Mensch seine Entscheidungen trifft: die GefŸhle." Das GefŸhl steuert zum Bewu§tsein persšnliche Bewertungen und Einstellungen bei; es ist auf diesem Niveau ein natŸrlicher Gegner der Vernunft.

Man kann das VerhŠltnis zwischen GefŸhl und Vernunft als einen Wettkampf zwischen zwei Mšglichkeiten der WirklichkeitsbewŠltigung auffassen. ( Richtiger wŠre, sie als zwei Seiten einer Medaille zu sehen.)

Die Vernunft versucht den Stšrenfried GefŸhl mšglichst zurŸckzudrŠngen. (Die KŠmpfe, die dabei gefŸhrt werden deuten daraufhin, da§ Vernunft bei weitem nicht so sicher positioniert ist, wie sie selbst es glauben machen will.) Vernunft steht auf der Seite der mŠchtigen (MŠnner), das GefŸhl wird in die Gefilde mit weniger Macht abgedrŠngt. Frauen und Kindern gesteht man Emotionen zu, ja man erwartet sie geradezu als positive Charaktereigenschaften. Harte MŠnner weinen nicht!

Die Vernunft dominiert das Erwerbsleben und verweist das GefŸhl auf den zweiten Platz, ins sog. Privatleben und die Freizeit. Was im geschŠftlichen Bereich geschŠtzt wird, kŸhle RationalitŠt, Berechnung und Kalkulation, wird im privaten Sektor als GefŸhiskŠlte diskreditiert. Die Fluchtrichtungen, die wir uns nach der Arbeit freihalten, sind durchwegs romantische, der Urlaub ebenso wie die Altstadt, der Wohnbereich ebenso wie der Aktivurlaub, die Filme ebenso wie die Flirts, unsere Vorstellungen von Liebe ebenso wie die von richtiger Kunst - anderenfalls sinken ihre Marktchancen. Allerdings beeinflu§t die Institution Vernunft auch hier die Institution GefŸhl, d.h. sie macht sie zŠhlbar und versteht es ausgezeichnet, auch diesen Sektor seiner Verwertbarkeit zuzufŸhren. Das bringt es mit sich, da§ dieses Adventureland "Emotion" nachaufklŠrerisch domestiziert und mit NotausgŠngen in den vernŸnftigen Alltag versehen ist, da§ es weitestgehend wissenschaftlich erforscht und damit sicher ist; im Winter sind dort die Stra§en und Wege selbstverstŠndlich gestreut.

Die Vernunft (mit ihrem Herrschaftswissen?) sagt, es sei schŠdlich, GefŸhle zu sehr zu unterdrŸcken, weil sie sonst eventuell an unerwarteter Stelle unkontrolliert ausbrechen kšnnten. Die Welt, unsere Welt ist so komfortabel geworden, da§ wir fŸr viele FŠhigkeiten keine rechte Verwendung mehr haben. Wir "Ÿben" sie als Luxus in sportlicher Form in der Freizeit. Die Macht der Vernunft scheint sich in letzter Zeit so zu verfestigen, da§ Emotionen leichter zugelassen werden kšnnen. Ziel des richtigen Vernunftgebrauches war es bis in die Moderne, den Menschen von den Fesseln der Natur zu befreien und ihn als Herren einzusetzen, von den Menschen die Angst zu nehmen. Heute hat sich das Blatt gewendet. Die voraufklŠrerische Furcht des Menschen vor der Natur hat sich in postindustrielle Angst vor der von ihm geschaffenen Welt der Technik gewandelt. Die grš§ten Anstrengungen zielen heute nicht mehr auf die Beherrschung der "ersten Natur" sondern auf die BewŠltigung der vom Menschen geschaffenen Welt. Vernunft ist heute angetreten, die Furcht des Menschen vor der RationalitŠt zu nehmen und ihn als Herren einzusetzen Ÿber die Technik. 29.03. 1992

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